Es ist so still in Deutschland. Die Straßen leer, der Protest überschaubar. Nur die Sehnsucht scheint groß: Nach einem Aufbruch. Vielleicht sogar der globalen Revolte? Eine Spurensuche in Kairo, Istanbul und Hanau.
Blog über Politik und Gesellschaft
Es ist so still in Deutschland. Die Straßen leer, der Protest überschaubar. Nur die Sehnsucht scheint groß: Nach einem Aufbruch. Vielleicht sogar der globalen Revolte? Eine Spurensuche in Kairo, Istanbul und Hanau.
Nach der Landung mache ich mich am Dienstag sofort auf dem Weg zum Taksim-Platz. Je weiter ich den Berg hochsteige, desto voller sind die Gassen mit jungen Leuten mit ihrer Ausrüstung: Helme, improvisierte Gasmasken. Mehr und mehr spüre ich das Tränengas. Es gibt ein Stop and go. Angekommen auf der größeren Siraselviler brennt es bereits heftig in den Augen. Ich mache einen entschiedenen Versuch, auf den Taksim zu kommen, habe aber keine Chance. Das Gas ist zu stark. Die Augen brennen so sehr, dass ich beim zurücklaufen kaum etwas sehen kann. Doch sofort sind Helfer da und besprühen meine Augen mit Zitronenwasser, 5 Minuten später ist alles wieder in Ordnung.
Wir kommen gerade von einem touristischen Besuch in der koptischen Altstadt von Kairo, als Naguib anruft: „Die Demo ist gigantisch“. Die christlichen Kopten haben sich in Shubra versammelt, nördlich des Zentrums. Also ziehe ich sofort mit meinem griechischen Genossen Yanis in Richtung Maspiro , die große Fernsehstation vom Kairo, direkt neben dem „Ramses Hilton Hotel“, wo die Demo enden soll.
Zum ersten Mal versammelten sich die Kopten Anfang März hier in Maspiro , als die religiösen Zusammenstöße begannen und die ersten Kirchen brannten. Hier entstand auch die Gruppe „Die Jugend von Maspiro “, die seither viele Aktionen und Demonstrationen organisiert hat. Dabei hielten sich traditionell die Kopten in Ägypten aus der Politik weitesgehend heraus, und lebten relativ isoliert in ihren Gemeinden unter sich. Doch an diesem Tag ist alles anders, und nach diesem Tag wird nichts mehr für sie so sein, wie es war.
Erschienen in „Analyse & Kritik“: https://www.akweb.de/ak_s/ak562/26.htm
Der Funke springt über! Die Revolte, die jahrzehntelang gefestigte Herrschaftsregime hinwegfegte, breitet sich fast in der Geschwindigkeit von Twitternachrichten in der arabischen Welt aus. Nun weitete sie sich überraschend mit ihren spezifischen Ausdrucksweisen und Formen auf den südeuropäischen Raum aus. Dabei galt der europäische Sozialstaat vielen AktivistInnen in arabischen Ländern als Modell. Weil ihre Revolte zum Vorbild für die Bewegung von Menschen in Europa geworden ist, reiben sich viele von ihnen nun verwundert die Augen.
Schon 2010 brachen in Europa Kämpfe aus. Auch in den USA erleben wir ein neues Aufflammen sozialer Auseinandersetzungen. Das Neue: Es gibt einen gemeinsamen Rahmen, eine gemeinsame Deutung, eine gemeinsame Identifikation dieser Proteste. Er gründet auf der Krise der kapitalistischen Globalisierung. Kaum zu überschätzen ist dabei, dass dieser neue Rahmen aus dem Orient kommt, aus den „Badlands“, dem Schlachtfeld des Bösen, das eigentlich als Kulisse für den „Kampf der Kulturen“ vorgesehen war.
Auch kurz vor 22:00 ist es schwer, mit dem Taxi zum Tahrir-Platz zu fahren. Die umgebenden Straßen sind voll mit Menschen, es gibt hier und da Traubenbildungen. Mal ist es ein Verkaufsstand mit Fussball-Trikots, mal spontane Konzerte vor einem Theater. Wir schauen gerade recht verloren aus, als Mohammad und sein Freund fragen, ob sie helfen können. Sie kommen gerade von der Kundgebung und wollen nach Hause, aber begleiten uns in entgegengesetzter Richtung zu unserem Hostel. „Heute ist ein großes Fest, die Leute feiern“ erzählt er. Der alter Premierminister Shafiq sei gestern zurückgetreten, und der neue war Heute auf dem Platz und hat zu den Leuten gesprochen. Al Jazeera meldet eine sehr große Kundgebung, „es waren bestimmt eine Million“ ist sich Mohammad sicher. Er gibt uns seine Telefonnummer, wenn wir Hilfe bräuchten, sollen wir uns melden. „Hey, wir wollen nicht eure Geld oder so was, wir haben uns alle geändert“.
Frankfurter Rundschau von 17.02.2009
Auch im globalisierungskritischen Netzwerk Attac gehen die Antworten auf diese Frage auseinander. Die Mitglieder Heiner Geißler und Pedram Shahyar diskutieren über alternatives Wirtschaften.